Märchen aus dem Land der Feuer - Aserbaidschan
In Übersetzung von Mag. Liliane Grimm

Der Fuchs auf Pilgerfahrt[1]

 

Bei vielen Jagden und erbarmungslosem Morden,

War Meister Fuchs inzwischen alt geworden.

Vor Schwäche konnte er nicht mehr jagen,

Es kam kein Fleisch mehr in den Magen.

Er hungerte nun bereits seit vielen Wochen,

Und war verzagt im Wald herumgekrochen.

Der nie die Chance zur Jagd versäumte

Konnte jetzt nur noch laufen, wenn er träumte.

Seine Zähne fanden, ach, keine Beute,

Ganz trüb und düster wurde so sein Heute.

Dann hat er übers Altern nachgedacht,

Und Folgendes in seiner Not gemacht:

Den Tasbih[2] hielt er betend in der Hand,

Ums Haupt er sich das Tuch des Pilgrims band,

Und zog sich Pilgerschuhe an die Füße,

Trug fromm auch den Aba[3], als ob er büße.

Nahm Abschied dann von dem, was ihn umgab,

Hielt in der Hand den langen Wanderstab.

Weinend ging er auf die weite Reise,

Anscheinend pilgern wollte der Weise.

 

Es sah ihn sich dem nächsten Dorfe nah’n,

Beim Scharren am Hühnerhof ein Hahn

Misstrauisch schaute er; ei wer,

Kommt denn in dieser Pilgertracht daher?

Hält Meister Fuchs den Tasbih in der Hand,

Und kleidet wirklich ihn ein Bußgewand?

Trägt er am Fuß tatsächlich Pilgerschuh

Und noch ein Baumwollband am Kopf dazu?

Er kam mit einem seidnen Überrock,

Hielt in der Hand den langen Wanderstock.

Betete offenbar den Rosenkranz,

Hatte im Auge heißer Tränen Glanz.

Den Kopf erhob der Gockel, und er schaute

Aus sichrem Abstand, da er ihm nicht traute,

Und fragte: „Wie bist du denn anzusehen!

Ist dir ein Unglück oder Leid geschehen?

Betrübt ließ Meister Fuchs die Ohren hängen,

„Des Alters Leiden sind’s, die mich bedrängen“.

Sprach er: „Ach, liebster, schönäugiger Hahn,

Hab’ euch viel Leides getan.

Als kommen siehst auch du mich lieber gehen,

Und meinen Kummer wirst du kaum verstehen.

Ach meine Seele plagt der Reue Schmerz

Wie eine Wunde blutet mir das Herz.

Ich wollte einst den Alltag nicht begreifen

Und fühlte nicht das Alter in mir reifen.

Wie oft brachte ich, Brüder, euch ums Leben.

Die Sünden möge Allah mir vergeben!

Mein Tun und Handeln, war abgrundschlecht!

Ach! So viel Blutvergießen war nicht recht!

Und wie viel Schuld hab’ ich auf mich geladen.

Niemand fühlt mit mir, liebe Kameraden.

Jetzt geh ich auf die Hadsch[4], die Pilgerfahrt.

Ich tue Buße, denn ich bin bejahrt.“

Der Hahn versetzte darob ganz gerührt:

„Du hast bereut, so wie es sich gebührt.

Ach, Großvater, wie gern bin ich der deine!

Dein Kummer dauert mich, so dass ich weine,

Jetzt wandelst du auf rechten Wegen,

Gott schütze dich und geb’ dir seinen Segen

Dein dicker Schweif fällt sicher schwer,

Zu tragen in deinem Alter sehr,

Der lange Marsch wird ermüden dich,

Würdest du denn mitnehmen mich,

Damit am Weg ich dir zu Diensten stehe,

Und mit der Arbeit an die Hand dir gehe?

Der Fuchs vernahm es mit großem Vergnügen.

Mit Höflichkeit wollt’ er den Hahn betrügen:

„Danke mein lieber Hahn, du frommes Tier.

Mit deinen Flügeln kommst du schnell zu mir.

Jeden Tag, so die Zeit vergeht,

Sollst du nun rufen zum Gebet!“

Da breitete der Hahn die Flügel aus,

Flog eilends zu dem Fuchs, den Kopf voraus,

Küsst’ ihm die Pfoten und das Angesicht

Und spart’ mit Liebenswürdigkeiten nicht.

Der Fuchs sprach höflich, um sich zu bedanken;

Doch hegte er noch andere Gedanken.

Sie tauschten Komplimente auf die Weise

Und brachen auf zu ihrer Pilgerreise.

 

Gemeinsam zogen sie zum nächsten Ort,

Zahlreiche Hühner pickten Futter dort.

Sie gackerten vor Aufregung ganz wild,

Denn Meister Fuchs bot jetzt ein neues Bild:

Fromm hielt er einen Tasbih in der Hand,

Trug um das Haupt von Baumwolle ein Band,

Als Gürtel einen Schal, auch Pilgerschuh

Und einen seidnen Überwurf dazu,

Hielt in der Hand den langen Wanderstab,

Mit dem er sich auf diese Hadsch begab.

Sein Gefährte, sieh mal, war der Hahn,

Verwirrt schauten sie die beiden an.

Da brachen sie in lautes Lachen aus,

Und eines der Hühner platzte heraus:

„Du eitler Fuchs, mit deinem dicken Schwanz

Buschiger Haare prahlst du voller Arroganz,

Erbarmungslos bringst Elend du und Not,

Schleichst nachts dich heran, und mit dir kommt der Tod,

Du willst uns Arg- und Ahnungslose fassen,

Du raubst uns, um in deinem Bau zu prassen.

Im Hühnerstall herrscht deinetwegen Trauer.

Du kommst dir vor als ein besonders Schlauer.

Dauert dich Herzlosen nicht unser Blut?

Jetzt hat uns Gott erlöst von deiner Wut,

Wir sind auf viele Wahlfahrten gegangen,

Haben geopfert, Allahs Gnade zu erlangen.

Jetzt hat er seinen Segen uns erteilt,

Dich hat die rechte Strafe nur ereilt.“

Der Fuchs hat tiefe Reue vorgeschützt,

Und auf den langen Wanderstab gestützt,

Jammerte er: „Mein lieber, schöner Hahn!

Ich habe euch viel Böses angetan.

Ja, ich bin schuldig, aber ich bereue.

Es blutet mir das Herze, und ich scheue

Mich nicht, den eignen Rachen zu verfluchen.

Als Greis will ich mein Seelenheil nun suchen.

Ich schäme mich, und ich gelobe nun:

Ich will durch eine Wallfahrt Buße tun!“

Erstaunt umringten da den Fuchs die Hühner,

Gerührt, dass aus dem Sünder ward ein Sühner.

Die Hühner waren ganz verwirrt und brachen

In Tränen aus vor Rührung und sie sprachen

„Du lieber, guter Fuchs, wie ist das schön!

Ach lass uns doch mit auf Pilgerfahrt gehen!“

Da sprach der Fuchs: „So sei es nun, ihr Lieben!“

Und alle kamen, keines ist geblieben.

Sie flogen her vom Dorf, aus Feld und Wald.

Darunter noch ein Hahn, und schon erschallt

„Kikeriki“, so gab er über Land

Die Freudenbotschaft aller Welt bekannt.

„Was für ein Glückstag! Kommt und seht, ihr Leut’:

Der Fuchs hat seine Untaten bereut,

Wird nie mehr Blut vergießen, nie mehr morden.

Kommt nur und schaut, der Fuchs ist fromm geworden.

Ja, er ward gläubig; denn er ist bejahrt.

Jetzt tut er Buße, geht auf Pilgerfahrt!“

Schnell machte die Runde diese Neuigkeit

Im Dorf unter den Hühnern weit und breit.

Und angeflogen kam die Hühnerschar,

Um selbst zu sehen: Es ist wirklich wahr!

Sie glaubten ihm, gackerten ihr Mitgefühl,

Und eins küsste seinen Aba im Gewühl,

Ein anderes wollte seinen Stecken halten,

Den Tasbih und die Wanderschuh des Alten

Sie bestaunten und hocherfreut lachten,

Und Brot und Salz dem Fuchs brachten.

„Nimm nur Herr Fuchs!“ Er machte es gut gelaunt

Und gleichmütig; er tat auch nicht erstaunt.

Sie brachen auf und plauderten noch ein wenig,

Sie zogen durchs Dorf, der Fuchs war jetzt ihr König.

Stolz trug der Hahn als Führer die Standarte

Der Fuchs ging vor, mitunter harrte

Hin und wieder schaute der Alte zurück,

Denn kaum zu fassen schien ihm dieses Glück.

Der Speichel troff dem Alten aus dem Mund,

Er überlegte und tat die Richtung kund.

Bald schwand ihm die Kraft, doch sein Gelüste

Zügelte er, führte die Hühner in die Wüste

Er wartete noch auf die Gelegenheit.

Und sagte dem Hahn: „Jetzt mache dich bereit!

Du teurer Hahn, nun ist die Zeit gekommen,

Zum Beten aufzurufen all die Frommen!“

Der sah sich suchend um; am Wüstensaum

Stand wie ein Minarett ein hoher Baum.

Dann wusch er sich und flatterte hinauf.

Zum Beten rief er alle Hühner auf.

Dann lud der schlaue Fuchs ihn auch noch ein,

Für alle dort der Vorbeter zu sein.

Sie riefen: „Nein, erteil’ uns du die Lehre,

Bei deinem Rang gebührt dir diese Ehre.“

Nun übertrieb er, machte ein Gesicht,

Als wollte er das Amt des Vorbeters nicht.

„Das darf ich nicht; ich hab zu viel getötet,

Zu oft mit eurem Blut mein Maul gerötet.

Wie könnte ich für euch Vorbeter sein?“

So widersprach er - sicher nur zum Schein.

Jedoch trat nun ein dünner Hahn hervor

Den man von allen zum Vorbeter erkor.

Dann ordnete der Fuchs die Pilgerscharen,

Stellte am Ende auf, die dicker waren,

Und als sie standen, hob er beide Hände

Und sprach: „Ich gehe dorthin bis ans Ende,

Der Schöpfer möge gnädig mir vergeben

Das, was an Bösem ich getan im Leben.

Die Sünden sind mir alle herzlich leid,

Ich habe sie zutiefst bedauert und bereut,

Und habe euer Mitleid ich erworben,

Beginnt mit dem Gebet, als wäre ich gestorben.“

So sprach der Fuchs, dann setzte er sich nieder,

Mit einem Mal vergoss er Tränen wieder.

Die Hühner standen auf, sie wollten beten,

In Viererreihen war’n sie angetreten.

Sie senkten ihre Augen. „Kikeriki!“,

Sprachen Imam[5] und Muezzin[6], „Kikerikiii!“

Man warf sich nieder und sprach das Gebet.

Jedoch wie es mit Heuchlern häufig geht,

Warf ab der Fuchs nun alle Frömmigkeit,

Und machte sich zum Zupacken bereit.

Voll Gier betrachtete er die Hühnerreihen,

Es glühten ihm, als ob sie Feuer seien,

Die Augen, und er wetzte sich die Zähne.

Und riss den Rachen auf, als ob er gähne.

Den Tasbih warf er fort, den Wanderstock,

Den Baumwollgürtel und den Überrock.

Er schaute sich um, er stürmte schnell auf den Platz

Und dann begann er mit der Hühnerhatz.

Er schüttelte seinen Schwanz, ward immer kühner

Dann griff er zu und würgte fünfzehn Hühner...

Die andern haben das Gekreisch vernommen

Und sind dem Fuchs mit knapper Not entkommen.

Das Land von Schreckensschreien widerhallt,

Die Hühner flogen erregt in Feld und Wald,

Und alles war wie nach der größten Schlacht.

Zu reicher Beute hatte es der Fuchs gebracht.

Er nahm seine Jagd und kletterte in eine Bergwand,

Zehn Tage lang fraß er, dann war er satt.

 


 

[1] „Der Fuchs auf Pilgerfahrt“ ist aufgrund eines Volksmärchens vom aserbaidschanischen Dichter und Schriftsteller Abdulla Şaiq (1881-1959) gedichtet worden.

[2] Rosenkranz der Muslime; die Kugeln repräsentieren die schönsten Namen Allahs

[3] Traditioneller ärmelloser Überwurf, den heutzutage nur noch Geistliche tragen

[4] Pilgerreise nach Mekka

[5] Vorbeter und Prediger

[6] Derjenige, der zum Gebet ruft