Märchen aus dem Land der Feuer - Aserbaidschan
In Übersetzung von Mag. Liliane Grimm

Die Geschichte von Merd und Namerd

In einem Dorf gab es zwei Jungen, von denen der eine Merd, der Tapfere und der andere Namerd, der Feige genannt wurde. Merd, der Tapfere, war ein intelligenter, mitleidiger und furchtloser Mann. Namerd, der Feige, war ein Verräter und Neider. Jeder achtete Merd sehr, seine Selbstlosigkeit und sein Wort. Namerd aber wurde von jedem gemieden.

Nach vielen Überlegungen kam Namerd zu der Erkenntnis, dass solange Merd am Leben sei, das Volk diesen als redlich ansehen, während es ihn selbst verachten würde. Es gab nur einen Ausweg, er müsste Merd töten, danach könnte er in Ruhe leben.

Eines Tages musste Merd eine Reise machen. Er nahm ein Stück Brot und machte sich auf den Weg. Namerd hatte darüber Nachricht erhalten. Er war sehr erfreut und begann sich zu verkleiden. Merd kam gerade die Straße entlang.

Als er eine Weile gegangen war, kam er zu einem Platz und sah wie Merd neben seinem Brot eingeschlafen war. Zuerst wolle er ihn töten, dann sagte er zu sich selbst :

„ Er hat mich zu sehr leiden lassen, das Feuer in meinem Herzen wird nicht auslöschen, wenn ich ihn nur töte. Ich muss ihn auch quälen.“

Er stahl sein Brot und versteckte sich.

Als Merd am Morgen erwachte, sah er, dass er kein Brot hatte. Er erhob sich und ging traurig weiter. Sieben Tage und sieben Nächte ging er hungrig und durstig dahin, bis die Knie schmerzten, die Kraft abgenommen hatte und er auf den Boden fiel. Das war gerade das, was Namerd wollte. Er kam heran und sagte :

„ Gefährte, warum sitzt du hier ?“

Merd sagte :

„Bruder, es ist eine Woche her, dass ich gegessen habe, ich rührte keine Scheibe Brot an. Hast du Brot, von dem du mir einen Bissen geben kannst ?“

„ Ich habe welches, aber das brauche ich für mich selbst.“

Merd flehte und sagte :

„ Ich gebe dir alles, was du willst. Gib mir nur einen Bissen Brot.“

Namerd sagte :

„ Wenn es so ist, möchte ich, dass du mir gestattest, dass ich eines deiner beiden Augen heraushole und ich gebe dir Brot.“

Merd sagte :

„Das kann nicht wahr sein ! Ein Stück Brot, was ist das, dass du mir dafür ein Auge herausnimmst?“

Namerd sagte :

„Ich brauche das Auge, du das Brot. Du weißt es selbst. Wenn du es nicht willst, dann lass es eben bleiben.“

Merd sagte :

„Ach Mann, sei doch menschlich, lass nicht zu, dass ich ohne Auge bin !“

„ Ich mache Spaß, nimm, iss dich satt.“

Namerd gab ihm ein mit einem Betäubungsmittel versehenes Brot. Merd aß das Brot und wurde bewusstlos. Namerd entnahm ihm sofort beide Augen und ging weg.

Merd kam irgendwann zu sich. Er sah alles total schwarz. So glaubte er, es sei Nacht. Doch dann merkte er auch, dass beide Augen entnommen waren. Kriechend am Boden auf den Händen vortastend, zog er sich in eine Ruine zurück. Als er dort einen Platz ertastet hatte, setzte er sich.

Jetzt erzähle ich dir von einem Löwen, einem Tiger, einem Wolf und einem Fuchs.

Der Löwe, der Tiger, der Wolf und der Fuchs waren befreundet. Die Tage über gingen sie dahin, die Nächte über kamen sie in die Ruine und sie redeten miteinander.

Auch diese Nacht, als die Dunkelheit angebrochen war, kamen die Freunde in die Ruine. Sie ließen sich nieder und begannen sich zu unterhalten.

Der Löwe fragte :

„Bruder Tiger, was gibt es heute Neues auf dieser Welt?“

Der Tiger sagte :

„Brüderchen Löwe, nun gibt es nichts Neues.“

Der Löwe fragte den Wolf:

„ Meister Wolf, gibt es bei dir auch nichts Neues zu berichten ?“

Der Wolf sagte :

„Mein Geschäft ging heute äußerst flau.“

Der Löwe sagte:

„ Wieso war dein Geschäft flau?“

Der Wolf sagte:

„ Schau, am Fuß des Berges, den du siehst, gibt es einen Hirten, der hatte eine Zeit lang keinen Hirtenhund. Ich ging auch jeden Abend hin und was mir an Lamm oder Schaf begegnete, raubte ich. Aber jetzt fand der Hirte einen Hund. Sosehr ich mich abmühe in die Nähe der Schafe zu kommen, der Hund gibt mir keine Gelegenheit.“

Der Löwe sagte :

„Meister Wolf, weiß du nicht, dass das Blut jenes Hundes ein Heilmittel ist? Jeder Kranke, der dieses Blut trinkt, wird geheilt werden.“

Der Fuchs sagte:

„ Meine Arbeit ist gut. Auf der Vorderseite des Berges ist ein Hamster. Er hat viel Gold. Jeden Tag breitet er in der Sonne am Boden die Goldstücke aus. Ich nehme auch als Bewacher Gold und dafür gibt er mir Brot.

Merd hörte alle diese Worte und behielt sie im Gedächtnis.

Der Morgen brach heran. Der Löwe, der Tiger, der Wolf und der Fuchs gingen weg.

Merd erhob sich auf die Beine und verließ die Ruine, ging und setzte sich unter einen Baum. Aber er war furchtbar hungrig. Er wusste nicht, was er tun sollte.

In diesem Moment flogen zwei Tauben heran und setzten sich auf den Zweig desselben Baumes.

Die eine Taube sagte zu der anderen:

„ Schwesterherz, hast du die Geschichte von Merd und Namerd gehört ?“

Die zweite Taube sagte :

„ Nein Schwester, ich habe nichts gehört . Erzähle, ich lausche.“

Die Taube begann zu erzählen :

„Es war einmal ein Merd und ein Namerd. Eines Tages ging Merd auf eine Reise, Namerd folgte ihm und vergiftete Brot. Als er Merd bewusstlos gemacht hatte, entnahm er die Augen. Merd ist jetzt hier. Nachdem er blind geworden war, blieb er hier. Niemand kann ihm helfen.

„Schwester, wie können wir ihm helfen?“

Die Taube sagte:

„ Oh, Merd, Wenn du schläfst erwache, sobald du munter bist, höre zu. Wenn wir wegfliegen, wird aus unseren Flügeln eine Feder herabfallen und mit dieser Feder reibe die Augen. Sie werden geheilt.“

Als die Tauben eine Feder hinunterwarfen, flogen sie weg. Die Feder fiel direkt auf Merds Knie. Merd nahm schnell die Feder und strich über die Augen. Die Augen waren wieder wie neu.

Er erhob sich und begann die Straße geradeaus zu gehen bis er zu einem Berg kam, dessen Gipfel er bestieg. Er sah, dass es hier einen Hamster gab, der vorne Gold ausschüttete und bewachte. Merd nahm einen Stein und warf ihn nach dem Hamster, der aus Furcht in sein Nest zu laufen begann. Merd sammelte die Goldstücke und begann zu gehen.

Er war eine Weile gegangen, viel gegangen und erreichte das Tal. Er sah, dass der Hirte davor eine Herde Schafe weidete und dass auch der Hund dabei war.

Merd sagte:

„Bruder Hirte, komm, gib mir diesen Hund !“

Der Hirte sagte:

„ Was gibst Du mir dafür ?“

Merd gab ihm ein Goldstück und bekam von dem Hirten den Hund. Er entfernte sich ein Stück und tötete den Hund. Er sammelte das Blut in ein Glas und steckte dieses in die Seitentasche und setzte seinen Weg fort.

Lassen wir Merd so dahin gehen. Und jetzt erzähle ich dir von der Stadt des Padishahs. Die Tochter des Schah war viele Jahre krank gewesen und viele Ärzte waren herbeigerufen worden, aber keiner wusste das richtige Mittel.

Merd erreichte die Stadt und sah selbst wie sich eine Gruppe Männer vor dem Palast versammelt hatte. Er fragte die Männer:

„Was ist passiert ?“

Sie sagten :

„ Weißt du nicht, dass des Padishas Tochter schon viele Jahre krank ist?“

Merd entfernte sich von den Männern und ging sich selbst ein entsprechendes Arztgewand kaufen. Nachdem er sich eingekleidet hatte, kam er zum Palast des Padischah und sagte:

„ Ich bin Arzt, ich bin gekommen, um des Padischahs Tochter zu heilen.“

Sie sagten :

„ O Mann, du armer Mensch, schon viele Ärzte sind gekommen, kein einziger konnte sie heilen, alle starben und alle wurden hingerichtet. Jetzt werden sie dich auch töten.“

Merd sagte :

„ Ich möchte des Padischahs Tochter sehen !“

Sie sagten :

„ Na gut, wenn du so darauf bestehst, dann gehen wir den Padischah benachrichtigen.“

Der Padischah empfing die Nachricht, dass in die Stadt doch ein Arzt gekommen war, der sagte, ich werde das Mädchen heilen.

Der Padischah sagte :

„Bringt ihn hierher“

Merd wurde zum Padischah gebracht. Der Padischah sagte zu Merd:

„ Sie sagen, du bist Arzt ?“

„Ja ,so ist es.“

Der Padischah sagte:

„Wenn du meine Tochter heilst, werde ich sie dir geben, wenn du sie nicht heilen kannst, werde ich dich enthaupten lassen .“

Merd war einverstanden. Sie brachten ihn zur Königstochter. Merd mischte ein Tröpfchen Hundeblut in Wasser und gab es dem Mädchen. Als das Mädchen das Blut getrunken hatte, war es wieder zu sich gekommen.

Der Padischah wurde benachrichtigt, dass seine Tochter geheilt sei.

Als der Padischah diese Nachricht vernommen hatte, befahl er, dass die Trommeln geschlagen wurden.

Die Trommeln wurden geschlagen und Kesseln von Pilow wurden gekocht. Der Padischah gab Merd seine Tochter zur Frau und vierzig Tage und vierzig Nächte wurde Hochzeit gefeiert.

Als Merd einige Zeit hier verbracht hatte, nahm er seine Frau und kehrte in seine Heimat zurück.

Überall verbreitete sich die Nachricht, dass Merd nicht gestorben, sondern mit einem großen Vermögen zurückgekehrt war. Alle freuten sich und waren glücklich.

Diese Nachricht erreichte auch Namerd. Dieser war über diese Neuigkeit fassungslos.

Sein Herz barst beinahe vor übriggebliebener Missgunst. Schließlich konnte er es nicht mehr aushalten und ging zu Merd, um irgendwie das Geheimnis zu erfahren. Merd empfing ihn auch diesmal tapfer. Nachdem er gegessen und getrunken hatte, eröffnete Namerd das Gespräch.

Merd sagte zu ihm :

„Ich bin Merd, nachdem ich nichts zu verheimlichen habe, werde ich dir alles erzählen. Horche zu und gib deine Unmenschlichkeit auf.“

Als er das gesagt hatte, erzählte er Namerd alles, was mit ihm geschehen war.

Am Abend kam Namerd nach Hause. So sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht schlafen. So erhob er sich noch in der Nacht und machte sich auf den Weg. Er dachte, dass er unbedingt in die Ruine gehen sollte, um von den Tieren das Geheimnis zu erfahren und damit reich zu werden.

Er war wenig gegangen, hatte viel verweilt, war viel gegangen hatte wenig verweilt und hatte die selbe Ruine erreicht. Auf einem Platz verbarg er sich, damit man ihn nicht sehen würde.

In der Nacht kamen wieder der Löwe, der Tiger, der Wolf und der Fuchs in diese alte Ruine.

Der Löwe ließ sich vom Tiger berichten :

„ Wie war es so auf der Welt. Welche neue Nachricht hast du gehört ?“

Der Tiger sagte :

„ Es befindet sich alles in Ordnung, Bruder Löwe, so gibt es keine Neuigkeiten.“

Der Löwe ließ sich vom Wolf berichten :

„ Meister Wolf, wie ist dein Befinden ?“

Der Wolf sagte :

„ Zur Zeit ist mein Befinden gut. Bei jenem Hirten ist jetzt kein Hund. Jeden Tag raube ich ein Schaf und fresse es.“

Der Löwe fragte :

„ Vater Fuchs, wie ist dein Befinden ?“

Der Fuchs sagte:

„Mein Befinden ist nicht gut, Bruder Löwe, Mein Geschäft war flau.“

Der Löwe fragte :

„ Weshalb?“

Der Fuchs sagte :

„ Jenem Hamster wurden die Goldstücke gestohlen. Jetzt gibt es keine gute Arbeit mehr.“

Der Löwe sagte :

„Sicherlich kam der Dieb hierher, er hat sich versteckt, um uns heimlich zu beobachten ; und er hört unsere Gespräche. Geht und sucht ihn hier.“

Sie begannen mit der Suche. Namerd wurde gefunden. Sie zerrissen ihn und fraßen ihn.

So war Namerd das Opfer seiner Hinterlist geworden.

Merds Leben aber war schließlich zufriedenstellend, er lebte und ließ es sich gut gehen.